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/21.06.23

Das Bild wurde durch KI erstellt (Midjourney)

Mitte März 2023 wird klar, dass die UBS die Credit Suisse (CS) übernimmt. In der Bundesrats-Sitzung vom 5. April 2023 wurde verfügt, dass alle ausstehenden variablen Vergütungen des CS-Kaders zu streichen oder zu kürzen sind. Dies scheint nicht für alle Personen selbstverständlich zu sein. Eine ganze Reihe von CS-Kaderleuten geht gegen diese Streichung juristisch vor. Dieses Gebaren empört nicht nur uns. Höchste Zeit also, über das Thema Bonus zu sinnieren. Ganz allgemein. Und eine gute Gelegenheit, darüber zu sprechen, wie wir bei der Renuo mit diesem Thema umgehen.

Nicht nur die Credit Suisse kennt variable Vergütungsprogramme: In der heutigen Unternehmenslandschaft ist es üblich geworden, dass Unternehmen Boni anbieten. Diese Boni sind oft an individuelle oder Teamziele gebunden. Bei Renuo haben wir seit Beginn darauf verzichtet und teilen allfälligen Gewinn mit allen. Dies bedeutet: 10% davon geht an alle Mitarbeitenden, 10% wird gespendet. Was ursprünglich aus praktischen Erwägungen heraus geschah – wo kein Gewinn, da keine Boni (leider scheint auch dies nicht für alle selbstverständlich zu sein ...) –, weist sich als sehr nachhaltige Grundlage aus.

Warum individuelle Boni schwierig sind

Einen Bonus zu definieren, ist nicht einfach. In Anbetracht der komplexen Natur der Unternehmensführung ist es sogar fast unmöglich, Boni sinnvoll zu definieren: Wie definiert man einen Anreiz? Wie wird er gemessen? Und wie stellt man sicher, dass sich der Anreiz nicht plötzlich negativ aufs Team, andere Ziele oder gar die Unternehmung als Ganzes auswirkt?

Es scheint für alle Unternehmen unerlässlich, ihre Bonusstrukturen kritisch zu hinterfragen, da sie nicht das volle Potenzial der Mitarbeitenden freisetzen, sondern es einschränken. Dies gilt insbesondere auch für Führungspositionen.

Obwohl das Konzept von Boni zunächst vielversprechend erscheinen mag und bestimmt durch wissenschaftliche Experimente unterstützt wird, ergeben sich aus der praktischen Anwendung erhebliche Probleme:

1. Boni wirken kurzfristig

Bonussysteme neigen dazu, den Fokus der Mitarbeitenden auf kurzfristige Ziele zu lenken, die leicht quantifizierbar sind. Dies kann zu einem Vernachlässigen langfristiger strategischer Entscheidungen führen, die für das nachhaltige Wachstum des Unternehmens von entscheidender Bedeutung sind. Mitarbeitende könnten versucht sein, kurzfristige Gewinne zu maximieren, auch wenn dies langfristig zu suboptimalen Ergebnissen führt. Ein Bonus für exaktes Einhalten von Zeitschätzungen kann bspw. dazu führen, dass Qualitäts-Aspekte eine untergeordnete Rolle spielen - und uns dann ein oder zwei Jahre später einholen.

2. Boni fördern Egoismus

Individuell gesetzte Boni führen zur Entstehung von Einzelkämpfern, die ihre eigenen Ziele (oder eben: den Bonus) priorisieren. Es ist ja genau das Ziel, das damit erreicht werden soll. Die Kehrseite davon: Gemeinsame Anstrengungen, um festzustellen, was für das Unternehmen in Zeiten begrenzter Ressourcen am vorteilhaftesten ist, werden vernachlässigt. Eine in Agenturen weit verbreitetes Modell sind Anreize im Zusammenhang mit verbrachter Zeit auf dem Kunden. Nur: Wer kümmert sich bspw. gerne um unsere gemeinsame Webseite oder andere interne Projekte wie unsere LearningWeek, wenn das seinem eigenen Anreiz schadet?!

3. Boni hemmen die Kreativität und Risikobereitschaft

Wenn persönliche Interessen, die durch Boni motiviert sind, Vorrang haben, nimmt die Motivation zur Ausübung von Kreativität und zur Übernahme von Risiken jenseits der vordefinierten Ziele ab. Warum sollte man schliesslich Energie in Angelegenheiten investieren, die nicht zu persönlichen Zielen beitragen? Unser Unternehmen lebt von der täglichen Hinterfragung, Neubewertung und Anpassung durch uns alle. Unerwartete Themen, die ursprünglich nicht Teil der Bonusstruktur waren, können nicht angemessen berücksichtigt werden. Folglich schwindet der Anreiz für Kreativität und Risikobereitschaft, da Einzelpersonen sich darauf konzentrieren, ihre persönlichen Ziele zu erreichen. Im IT-Umfeld ist es essenziell, stets die Augen für Neues offen zu halten. Neue Technologien sollen evaluiert und ausprobiert werden. Mit dem Risiko, dass man etwas gefunden hat, das Uninteressant ist. Finanzielle Anreize verzerren die Motivation!

4. Boni stehen im Missverhältnis zur persönlichen Leistung

Mal angenommen, wir könnten ein gut ausgearbeitetes und ehrgeiziges Ziel setzen: Selbst wenn es erreicht wird, bedeutet das Erreichen des Ziels nicht zwangsläufig eine aussergewöhnliche Leistung. Der Erfolg kann auf Faktoren zurückzuführen sein, die nicht direkt im entsprechenden Einflussbereich der Person lagen. Umgekehrt kann es irreführend sein, anzunehmen, dass die Fähigkeiten einer Person unzureichend waren, wenn ein Ziel nicht erreicht wurde. Boni belohnen daher nicht direkt die persönliche Leistung, sondern konzentrieren sich auf die Erreichung vordefinierter Ziele, was zu einer Diskrepanz zwischen Leistung und Belohnung führt. Wer ist bspw. dafür verantwortlich, dass die Kundenzufriedenheit hoch ist? Die, welcher mit gutem Code für einen stabilen Betrieb sorgt? Die Projektleitung, welche eine gute Betreuung sicherstellt? Die Administration, welche für runde Abläufe sorgt? Oder vielleicht alle zusammen – im Zusammenspiel?

5. Boni hemmen die persönliche Entwicklung

Die beiden vorangehenden Punkte können sich negativ auf die persönliche Entwicklung der Mitarbeitenden auswirken: Statt sich auf ihre individuellen Stärken zu konzentrieren und sich weiterzuentwickeln, werden Mitarbeitende dazu motiviert, ihre Energie darauf zu verwenden, die Kriterien für den Bonus zu erfüllen. Inspiriert durch diesen Artikel glauben wir an die Analogie, Mitarbeitende als Vektoren zu sehen. Die Richtung sollen diese selbst vorgeben und es ist an der Unternehmung dafür zu sorgen, dass die Vektoren (Interessen) gebündelt sind.

6. Boni hemmen die Agilität

Typischerweise sind Boni für sechs oder zwölf Monate festgelegt. In einem agilen Unternehmen wie dem Unsrigen, das kontinuierlich seine Ausrichtung anpasst und schnelle Experimente unterstützt, erweisen sich solche festen Zeiträume als unpraktisch. Ziele können sich jederzeit ändern und Teams müssen schnell neu zugewiesen oder umstrukturiert werden. Im vergangenen Quartal hatten wir das Ziel, für unser Produkt MugshotBot Kunde X anzugehen. Aufgrund erhaltenem Feedback zu unserer Webseite verschoben wir das Ziel, um jenes zuerst umsetzen zu können. Wäre das Ziel monetarisiert gewesen, wäre die Person wohl nicht dazu bereit gewesen und wir hätten den Lead womöglich verspielt (dafür das Ziel erreicht).

7. Boni begrenzen Ambitionen

Individuelle Boni setzen implizit eine Obergrenze für die Leistungen der Mitarbeitenden fest. Das Ziel besteht darin, die Ziele zu erreichen und einen durchschnittlichen Kompromiss anstelle aussergewöhnlicher Leistungen anzustreben. Zusätzlich motivieren feste Ziele (im Gegensatz zu provisionsbasierten Anreizen für den Umsatz!) Mitarbeitende lediglich dazu, die definierten Ziele zu erreichen, wodurch ihr Antrieb, Erwartungen zu übertreffen oder andere wichtige Angelegenheiten anzugehen, gedämpft wird. 2021 hatten wir zum Ziel, unser Mitarbeiter-Gespräch zu überdenken. Durchaus möglich, dass ein finanzieller Anreiz in der Weiterentwicklung und Verbesserung hinderlich gewesen wäre und wir heute nicht jenes Growth Atelier hätten, das wir haben.

Unsere Lösung: Wir agieren als Unternehmen

Angesichts dieser Überlegungen sind wir überzeugt, dass die praktikabelste Alternative zu individuellen Boni ist, sie gar nicht erst einzuführen. Durch den Verzicht auf individuelle Leistungsboni können wir als einheitliches Team agieren und Handlungen priorisieren, die dem Unternehmen insgesamt zugutekommen. Diese Herangehensweise fördert Kreativität, ermutigt zu Risikobereitschaft zum Wohl der Gemeinschaft und ermöglicht die Verfolgung ehrgeiziger und nachhaltiger Ziele in Zusammenarbeit.

Verbleibt Ende Jahr ein Gewinn, teilen wir 10% davon mit allen Mitarbeitenden. Die Aufteilung erfolgt im Verhältnis zum bezogenen Lohn. Dies stellt eine faire Annäherung dessen dar, was jede Person zum Unternehmens-Erfolg beigetragen haben könnte und ist aufgrund des für alle transparenten Lohnmodells gut abgestützt. Warum gerade 10%? Ursprünglich lag der Anteil bei 20%, währenddessen die Löhne unterhalb des Medians lagen. Auf Wunsch der Mitarbeitenden liegen die Löhne nun beim Schweizer Median und im Gegenzug reduzierten wir die Beteiligung von 20% auf 10%. Die Zahl ist an und für sich arbiträr und entspricht jedoch dem Zehnten, welcher sich seit langer Zeit durch zahlreiche Religionen und Völker zieht. Darüber hinaus spenden wir weitere 10% an gemeinnützige Organisationen sowie Open Source. Der Rest verbleibt als Reserve innerhalb der Firma und geht zuletzt an die Partner.

Ich bin überzeugt, dass unsere Arbeitswelt eine andere bessere wäre, würden keine individuellen Boni verteilt. Ob dies die CS gerettet hätte? Wohl nicht direkt. Sicherlich hätte es jedoch indirekt einen Einfluss auf eine nachhaltige Kultur. Und ist die CS nicht zuletzt an ihrer Kultur zugrunde gegangen?