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/09.04.24

Surfen kann man auch offline. Avoca Beach, Australien

Seid ihr bereit für ein Abenteuer? In diesem Blogbeitrag nehme ich Euch mit auf eine Reise aus meiner Komfortzone. Auf ein Abenteuer, mein zu Hause, samt Familie für einige Monate nach Australien zu verlagern. Und aus der Firma herauszutreten.

Ja – ihr habt richtig gehört: Ich bin dann mal weg.

Wie frei ist frei?

Freiheit ist für mich essentiell. So essentiell, dass ich während meines Studiums keinen spezifischen Berufswunsch hatte, ausser selbst eine Firma zu gründen. Viele Jahre später stellte ich nüchtern fest, dass ich wohl die wenigst freie Person bei Renuo war. Ist es wirklich so, dass man sich als Unternehmer seiner Firma verschreibt und bspw. keine längeren Reisen mehr unternehmen kann? Ungläubig, dass dies wirklich eine entweder-oder-Entscheidung ist, wollte ich das Gegenteil beweisen.

Wann, wenn nicht jetzt?

Als Teenager verbrachte ich 2005/2006 im Rahmen eines Austauschjahres ein Jahr in Australien. Die reiche Flora und Fauna, die faszinierende Kultur und vor allem die offenen Leute liessen mich nicht los. Ich versprach mir, irgendwann für etwas länger als nur einige Wochen zurückzukommen. Einfacher gesagt, als getan: Nach meiner Heimkehr aus Australien standen zuerst das Militär, dann ein Bachelor- und Masterstudium, Firmengründungen und schliesslich Familiengründung an. Oder andersrum: Es war schlicht nie der richtige Moment, zu gehen. Bis sich plötzlich ein spannendes Fenster auftat: Meine Kinder sind noch nicht in der Schule und die Renuo schien aus den Kinderschuhen entwachsen. Nach mehr als 15 Jahren des Wartens war für mich klar: Es war an der Zeit zu handeln. Vielleicht nicht ein “jetzt, oder nie”. Aber mindestens ein “wann, wenn nicht jetzt?”.

Wie gehe ich das an?

Eine längere Abwesenheit, insbesondere in meiner geschäftsführenden Rolle, will gut geplant sein. Besonders dann, wenn – wie in unserem Fall – noch kein bestimmtes Rückkehrdatum vorgesehen war. 

Nur: Wie und wo beginnen?

  • Partner einweihen: An unseren jährlichen Partner-Retreats beginnen wir immer mit einer Reflexion über persönliche Pläne und Wünsche. Aufgrund dieser offenen Atmosphäre waren meine beiden Partner, Josua Schmid und Alessandro Rodi bereits im Voraus über mein Vorhaben informiert, noch bevor ich es konkretisierte. Durch die Einführung unseres Growth Atelier war dieser Wunsch ebenfalls intern bekannt. Ich bin froh, dass wir bei Renuo diese Transparenz haben – sie half mir in meinem Vorhaben. Ich weihte also meine beiden Partner ca. anderthalb Jahre im Voraus in meine konkrete Absicht ein und begann nach ihrem Einverständnis mit der eigentlichen Planung. 

  • Bewusstsein schärfen: Mein Ausgangspunkt war ein Dokument, in welchem ich alle meine Aufgaben dokumentierte. Viele meiner Aufgaben fallen unregelmässig an und die Zusammenstellung dauerte somit gut ein halbes Jahr. Diese Erfahrung erwies sich nicht nur als wichtige Grundlage, sondern auch als faszinierende Erkenntnis darüber, wie ich meine Zeit verbringe. Ich stellte mir die Frage: Was tue ich eigentlich den ganzen Tag? Neben ganz konkreten Tasks wie der “Durchführung von 1-1s” erlangte ich auch Kenntnis über weniger fassbare Aspekte wie die Bedeutung von Präsenz. Letzteres sortierte ich zuletzt gar an erster und wichtigster Stelle. Hinsichtlich einer reibungslosen Übergabe empfand ich es sehr wichtig, dass eine solche Liste gerade auch solche nicht greifbare Tasks abbildete.

  • Team und Kunden informieren: Intern enthüllte ich meinen konkreten Plan ca. drei Monate vor Abreise. Gerne hätte ich dies früher getan, aufgrund zwei personeller Wechsel wollte ich die Firma jedoch nicht noch zusätzlich belasten. Im persönlichen Dialog einigte ich mich mit allen Beteiligten über eine Übernahme meiner Tasks und verteilte so ungefähr 85% meiner Aufgaben. Im Anschluss wurden unsere Kunden informiert – ca. zwei Monate vor Abreise. Ich war durchaus etwas überrascht (und sehr dankbar), sowohl intern als auch von unseren Kunden ausschliesslich positive und ermutigende Rückmeldungen erhalten zu haben.

Während meiner Vorbereitung half mir auch das Buch “How to Run Away From Home: And Bring Your Family With You” von Adam Dailey. Es ist ein super Erfahrungsbericht eines Unternehmers, der das Vorhaben unter deutlich schwierigeren Umständen und für eine deutlich längere Zeit umgesetzt hat.

Was heisst es konkret?

In Australien angekommen, konzentrierte ich mich hauptsächlich auf das Führen von zweiwöchigen, bilateralen Gesprächen sowie finanzielle Controlling-Aspekte. Mir half dies, nicht ganz loslassen zu müssen. Und die Renuo profitierte davon, nicht ganz auf mein Wissen und meine Erfahrung verzichten zu müssen. Mein Vollzeit-Pensum reduzierte sich auf ein 23%-Pensum. Dank klar definierten Verantwortlichkeiten und einer effektiven Kommunikation (intern und auch an Kunden) klappte dies problemlos. Mein Plan ging auf!

So toll unser Familienabenteuer war, so viele Herausforderungen brachte es auch mit sich. Die allermeisten Punkte finde ich auch im Nachhinein schwierig zu verbessern, da sie schlicht Teil dieses Reise-Settings sind. Es geht somit wohl vor allem darum, eine korrekte Erwartungshaltung zu entwickeln.

  • Arbeitsklima: Vielfach arbeitete ich oft und während kurzen Abschnitten. Im Vergleich zu konzentrierteren, längeren Abschnitten fand ich das demotivierend. Dazu kamen erschwerende Umstände wie schlechtes (oder gar kein) Internet, Kinder in unmittelbarer Nähe und schlechte (oder gar keine) Büromöbel dazu. In Anbetracht dessen, dass eine Reise eben eine Reise ist, lässt sich das wohl nicht optimieren. Es hat mich jedoch zu schätzen gelernt, wie wichtig eine gute Arbeitsumgebung ist.

Work from outdoor ....

  • Kommunikation: Die unregelmässige Arbeitsweise stellte mich vor Herausforderungen in der Kommunikation mit meiner Familie und auch mit der Firma, wenn es darum ging, festzulegen, wann ich arbeiten möchte oder muss. Es kam mir vor, als wäre ich ständig am Arbeiten und doch irgendwie nie. Rückblickend würde ich versuchen, die Kommunikation zu verbessern, indem ich klare Zeitfenster definiere.

  • Zeitverschiebung: Aufgrund der Zeitverschiebung – es waren zwischen 7-10 Stunden – arbeitete ich oft bis tief in die Nacht. Der darauffolgende Tag war folglich häufig streng, da das Familienleben normal weiterlief und ich meine Zeit tagsüber nicht “verschlafen” wollte. Diese Doppelbelastung hat mich herausgefordert, aber im Kontext der Reise war sie wohl zu erwarten. Es geht wohl mehr um die Erwartungshaltung.

  • Räumliche und gedankliche Distanz: Die räumliche Distanz brachte auch eine gedankliche Distanz mit sich. Einerseits ist dies Teil des Plans und sogar wünschenswert. Andererseits macht es gewisse Aufgaben sehr schwierig: Ich hatte Schwierigkeiten, mich mit den Zielen von Renuo für das Jahr 2024 auseinanderzusetzen, weil ich mich einfach zu weit entfernt fühlte. Diese Erkenntnis bestärkt mich im Bekenntnis zur strategischen Ausrichtung, kein Nearshore oder Offshore zu machen. Ich bezweifle, dass man über so grosse Distanzen die nötige Art von Verpflichtung und Verbindung aufrechterhalten kann.

Was bleibt?

Meine familiäre Auszeit hat mir nicht nur bewiesen, dass man auch als Unternehmer länger abwesend sein kann. Vielmehr hat sie auch unsere Firma sowie meinen Geist bereichert:

  • Das Verständnis: Die Übergabe diverser Aufgaben an andere Personen erhöht das gegenseitige Verständnis und die Wertschätzung für einander. Dies trifft wohl insbesondere in meiner geschäftsführenden Rolle zu, in welcher man die meisten Dinge alleine macht.

  • Der Bus-Factor: Meine Abwesenheit zwang uns, meinen Bus-Factor ganz konkret und effektiv anzugehen. Wir sind als Firma breiter und resistenter aufgestellt als zuvor.

  • Der Wert der Zeit: Der Wechsel von fast keiner Zeit, zu: alle Zeit der Welt haben, war spannend. Der Wert der Zeit hängt meines Erachtens von der Synchronisation derer mit anderen ab: Meine Auszeit machte mir vor allem deshalb Spass, weil sie zusammen mit der Familie war. Und das Arbeiten war dann bereichernd, wenn ich zur selben Zeit wie mein Team arbeitete. Ich fühle mich bestärkt darin, weiterhin kein full-remote, Near- oder Offshoring zu betreiben.

  • Über das Leben: Meine Auszeit hat mich daran erinnert, dass das Leben weit mehr ist als nur Arbeit. Es geht um Beziehungen, Gespräche, Verbindungen. Die Australier sind perfekte Vorbilder dafür, weil sie sich viel häufiger die nötige Zeit und Musse für das Zwischenmenschliche nehmen. Gleichzeitig möchte ich festhalten, dass ein Leben ohne Arbeit auch wenig Sinn ergibt. Ein Mensch braucht Arbeit; braucht Probleme. Es ist das, was einem Leben Sinn verleiht.

  • Zurück  zur Freiheit: Nach meiner Rückkehr bleibt mir mehr Zeit, um am, anstatt im Unternehmen zu arbeiten.

Die Auszeit war eine für mich einzigartige und sehr bereichernde Möglichkeit. Ich möchte mich bei meinen Partnern, meinem Team sowie unseren Kunden für die Unterstützung bedanken. Ohne sie wäre es nicht möglich gewesen.

...einer der zahlreichen Sonnenaufgänge entlang der Küste ...