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/30.06.22

Speeddating fürs Büro. Bild via Pexels.

Bis 2018 führten wir mit unseren Mitarbeitenden jeweils ein jährliches Mitarbeitergespräch durch: Sowohl die Unternehmung, als auch das Teammitglied bewerteten acht Qualitäten auf einer numerischen Skala von eins bis fünf. Darauf basierend wurde diskutiert, verglichen und im Anschluss Jahresziele festgelegt. So richtig zufrieden waren wir mit dieser Art des Feedbacks nie: Die Durchführung verursachte auf allen Seiten Druck, das Gespräch fühlte sich mässig gut an und die daraus resultierenden Ergebnisse waren beschränkt wertvoll. Wir brauchten also eine Alternative und entwickelten das sogenannte «Growth Atelier». Was es damit auf sich hat und wieso wir es empfehlen können, erfahren Sie in diesem Blogbeitrag.

Ein Ritual wird abgeschafft

Jahr für Jahr dieselbe Übung: Irgendwann im Herbst taucht in der Mailbox die ungemütliche Kalendereinladung zum Mitarbeitergespräch auf und sofort baut sich Druck auf: Die Gespräche vor- und nachzubereiten ist aufwendig und nicht sexy. Die Gespräche zu führen, ist schwierig und belastend.

Warum tun wir uns das an, wenn die ganze Angelegenheit offensichtlich für beide Seiten negativen Stress auslöst? Gibt es keine bessere Alternative?

Diese Frage stellten wir uns 2018. Wir wussten, dass wir etwas anderes wollen und schufen das Ritual erst einmal ab. Vorerst ersatzlos: Lieber nichts als eine gut gemeinte Alibi-Übung.

Die Weichen werden gestellt

Die Anforderungen an das neu zu entwickelnde Instrument waren vielseitig und hoch:

  • Qualität: Es ist schwierig und sehr subjektiv, die Leistung anhand einer Zahl zu bewerten. Wir wollten daher auf Zahlen und Noten verzichten und qualitative Leistungen auch qualitativ bewerten.

  • Rhythmus: Ein jährlicher Zyklus ist zu langsam und zu reaktiv. Häufigere, kürzere Rückmeldungen zu erhalten, schätzten wir daher als wertvoller ein als grössere und dafür seltenere. (In diesem Kontext sei auch unser ergänzendes Wertschätzungstool gifcoins.io erwähnt, welches auf positives, digitales Peer-to-Peer-Feedback setzt.)

  • Persönlichkeit: Abgesehen davon, dass wir in der IT Leistung ohnehin nicht messen können, soll der Event entschlackt werden: Strategische Entwicklung von Fähigkeiten, Zieldefinition oder gar Initialzündungen für Massnahmen (im schlimmsten Fall eine Entlassung) haben aus unserer Sicht in einem solchen Gespräch nichts verloren. Das Instrument soll dem persönlichen Fortschritt gewidmet sein. Alles andere muss an anderer Stelle behandelt werden.

Das Mitarbeitergespräch 2.0

Nach drei Durchführungen, entsprechenden Auswertungen und daraus abgeleiteten Optimierungen haben wir schliesslich das für uns passende Resultat gefunden, das alle beschriebenen Anforderungen erfüllt. Es funktioniert wie folgt:

Jede Person gibt jeder Person im Team ein 5 Minuten dauerndes Feedback zu ihrer Arbeit und Leistung. Diese Feedbacks basieren auf den folgenden drei Fragen:

  • Was ist mir bei Dir positiv aufgefallen?

  • Wo wünschte ich mir eine Veränderung? 

  • Was ich Dir sonst noch mitteilen möchte.

Vor dem jeweiligen Speed-Date erhalten beide Personen 5 Minuten Zeit, um sich schriftlich vorzubereiten. Die Notizen werden auf einem A3-Blatt pro Person notiert. Am Ende erhält jede teilnehmende Person zum weiteren Gebrauch oder zur Erinnerung ihr A3-Blatt mit allen Notizen der Teammitglieder zur eigenen Person. 

Um die Vorbereitung zu vereinfachen, enthält jedes A3-Blatt die der Person zugewiesenen Aufgaben (zum Beispiel «Software-Entwicklung», «Organisation Learning Week») und die bearbeiteten Projekte (zum Beispiel «Portal A», «Plattform B»). Damit wird einerseits der Fokus des Feedbacks auf die (offiziellen) Aufgaben gelenkt. Andererseits hilft eine Auflistung der bearbeiteten Projekte den Feedback-Gebenden als Gedankenstütze, in welchen Bereichen man womöglich Interaktionen hatte. 

Der Prozess des Reflektierens und das Sammeln von Stichworten führen wir bewusst physisch und nicht digital durch: Einerseits erhalten so alle Teilnehmenden ein physisches Artefakt mit ihren Rückmeldungen, welches der Zusammenfassung dient. Andererseits werden die Feedbackgebenden und Feedbacknehmenden dadurch nicht durch einen Bildschirm voneinander getrennt. 

Was sich als sinnvoll erwiesen hat, ist eine vorgängige Planung der Speed Dates, denn nur so lässt sich vermeiden, dass alle mit allen sprechen können, ohne dass lange Wartezeiten entstehen.

Was den Zyklus anbelangt, haben wir von einem initial viermonatigen auf einen sechsmonatigen Rhythmus gewechselt. Dies fühlt sich für uns ideal an.

Somit haben wir eine Lösung gefunden, bei der im Speed-Dating-Stil alle allen Feedbacks geben, der Fokus auf Interaktion (und nicht Dokumentation) liegt, der Zyklus mehrmals pro Jahr stattfindet und es keiner aufwendigen Vor- und Nachbereitung bedarf. Wir nennen es Growth Atelier und sind sehr zufrieden damit.

Die nötige Grundlage

Nährboden und Grundlage für das Gelingen unseres Growth Ateliers bilden zwei Voraussetzungen: Wir leben eine offene Kultur und kennen (und noch wichtiger: beherrschen) die Regeln des Feedback-Gebens.

Damit ein gegenseitiger Feedback-Prozess funktioniert, dürfen keine hierarchischen oder altersbedingten Barrieren existieren. Solange ein Feedback den Kriterien guter Rückmeldungen entspricht, muss es jeder Person erlaubt sein, alles sagen zu dürfen. Wir sind dankbar für jegliches Feedback – es dient letztlich unserem persönlichen Fortschritt.

Wir leben die Kultur einer wissensbasierten Organisation (die Person mit dem meisten Wissen übernimmt in dem zugewiesenen Bereich die Führung), was ein solches Vorhaben unterstützt.

Zu Beginn des Growth Ateliers rekapitulieren wir jeweils die Regeln von gutem Feedback. Zusammengefasst geht es um folgende vier Eckpunkte:

  • Feedback ist deskriptiv (und manifestiert keine Fakten)

  • Feedback ist spezifisch (nicht verallgemeinernd)

  • Feedback ist subjektiv (→ Ich-Sicht)

  • Feedback betrifft nur beeinflussbare Bereiche

Das Resultat spricht für sich

Unser neuer, agiler Prozess für Mitarbeitergespräche setzt auf einen gegenseitigen und interaktiven Austausch. Das erhaltene Feedback ist wertvoller, breiter abgestützt und sorgt allgemein für gute Gefühle und mehr Motivation: Die Auswertung unserer letzten Durchführung zeigt sehr positive Werte sowohl im Bezug auf die generelle Zufriedenheit mit dem Event als auch auf die subjektive Kompetenz im wertvollen Rückmelden. 

Ein Tor, wer denkt, nur das Management sei dieser Aufgabe gewachsen. 

Wie geht ihr mit dieser Thematik bei euch im Team oder in der Unternehmung um? Uns interessiert es sehr. Schreibt uns gerne in den Kommentaren oder perMail.

Update vom 20. Dezember 2022:

Dieser Blogartikel hat für grosse Resonanz und zahlreiche Anfragen geführt. Aus diesem Grund möchten wir ein kurzes Update geben:

In der Zwischenzeit haben wir schon eine weitere Iteration mit folgenden Anpassungen gemacht:

  • Weniger Pairings: Im Sommer hatten wir noch ca. 10-12 Pairings pro Person. Es fühlte sich sehr gestresst an. Jede Person kann nun 2 Personen angeben, von welchen man Feedback geben will, und an welche man Feedback geben möchte. Wir stimmen alle Wünsche aufeinander ab und geben noch 2-3 „Zufallspairings“ dazu, sodass jede Person zwischen 5-7 Treffen à 12min hat. Es ist nun deutlich weniger stressig.

  • Vorbereitete Dates: Da wir nun die Pairings (ca. 2 Wochen im Voraus) wussten, konnten wir uns entspr. vorbereiten (=Gedanken machen). Die Notizen sind stets handgeschrieben pro Person. Wir schätzen es, am Schluss des Nachmittages ein physisches A3-Artefakt zu haben.

  • Einen Rückblick auf die letzten Gespräche findet insofern statt, als dass wir nach dem Growth Atelier jedem eine Kopie des letzten Artefakts austeilen. Man kann so sehen (falls man nicht eh schon danach gesucht hat), was sich verändert hat. Im Anschluss füllt jede Person für sich einen Development Plan aus (2-3 Stichworte über den Horizont 2-3 Monate sowie 2-3 Jahre). Die Firma nimmt dabei nur zur Kenntnis und unterstützt, so gut es geht.